Expertenbeitrag Prof. Dr. Michael Jünger

Von Prof. Dr. Michael Jünger, Klinik und Poliklinik für Hautkrankheiten der Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Greifswald

Bedeutung der Muskelpumpe für die venöse Durchblutung der Beine

Hämodynamik beim Venengesunden

In jedem Gefäß des Kreislaufsystems herrscht ein hydrodynamischer Druck, der eine Folge der Pumptätigkeit des Herzens und des ihm entgegenstehenden Strömungswiderstandes ist. Bei einem Wechsel der Körperlage treten als Folge der Schwerkrafteinwirkung zusätzlich hydrostatische Drücke auf, die der Höhe der Flüssigkeitssäule relativ zu der sogenannten hydrostatischen Indifferenzebene entsprechen. Beim liegenden Menschen besteht in Höhe des Sprunggelenkes ein venöser Druck zwischen 8-15 mmHg. Im Stehen steigt der orthostatische venöse Druck der Beine bei Venengesunden je nach Körpergröße auf Werte zwischen 80 und 120 mmHg an.

Für den venösen Rückfluss aus dem Bein zum Herzen ist beim stehenden und gehenden Menschen entscheidend:

  • Wadenmuskel-Sprunggelenkspumpe d.h. das Zusammenspiel zwischen der Formveränderung der Beinmuskulatur, den Gelenken und den Beinvenen, die durch die benachbarte Muskulatur „von außen“ verengt bzw. komprimiert werden, bei funktionstüchtigen Venenklappen wird das venöse Blut so in Richtung Herzen entgegen der Schwerkraft verschoben.
  • Die thorako-abdominelle Zweiphasenpumpe: bei Ein- und Ausatmung unterstützen die Druckverhältnisse in Bauch und Brustraum durch einen negativen Druck (Sog) den Rücktransport des Blutes aus dem Becken-Bauchraum zum Herzen.

Hämodynamik beim Venenkranken (Chronische Venöse Insuffizienz, CVI)

Funktionsstörungen der Venenklappen treten im Sinne von Klappenschädigungen nach abgelaufener tiefer Beinvenenthrombose, angeborener Anlagestörung oder durch ein Krampfaderleiden (Primäre Varikose) auf. Die gestörte venöse Hämodynamik führt zu einer chronischen Stauung der unteren Extremität, im Bein sammelt sich zu viel Blut, der Druck in den Venen und Kapillaren des Beines ist beim Gehen viel zu hoch. Dieser Mechanismus wird als ambulatorische venöse und kapilläre Hypertonie beschrieben.

Symptome der chronisch venösen Insuffizienz

Die Folgen der chronisch venösen Insuffizienz betreffen vor allem das Hautorgan der betroffenen Regionen. Im Initialstadium zeigen sich bedingt durch den hohen hydrostatischen Druck in Knöchelhöhe Venektasien, die sich halbmondförmig um das Fußgewölbe anordnen und unter dem Begriff der Corona phlebektatika paraplantaris subsumiert werden. Zudem besteht bereits über der Bisgaard´schen Kulisse ein Knöchelödem, trophische Hautveränderungen sind noch nicht vorhanden.

Mit Progredienz der Chronischen Venösen Insuffizienz bilden sich vermehrt Ödeme am lateralen und medialen distalen Unterschenkel aus. Zudem tritt ein makulöses bräunliches Colorit der Haut auf, welches als Purpura jaune d´ocre bezeichnet wird. Es können ebenfalls eine ausgeprägte Xerosis cutis und Stauungsdermatiden auftreten. Bei ausgeprägter venöser Insuffizienz besteht häufig eine Dermatoliposklerose, welche auf Fibrosierungsprozesse der Dermis und Faszie zu Konsistenzvermehrung von Kutis und Subkutis mit folglich atroph glänzender Epidermis führt.

Ebenso finden sich hypopigmentierte, atrophe Areale mit rand- oder zentralständigen Teleangiektasien. Milian fasste diese Veränderungen unter dem Begriff der Atrophie blanche zusammen. Als Prädilektionsstellen gelten die Malleoli mediales. Diese Veränderungen sind als äußerst schmerzhaft bekannt und neigen in ca. 30-40% der Fälle zu Exulzerationen.

Im Endstadium bilden sich zusätzlich Ulcera cruis venosae aus, welche in Sonderfällen die gesamte Zirkumferenz des Unterschenkels (Gamschenulzera) einnehmen. Die klinische Ausprägung der mit einer Varikose einhergehenden Veränderungen können nach verschiedenen Klassifikationen eingeteilt werden. International hat sich heute die klinische Einteilung nach der CEAP-Klassifikation durchgesetzt. In der CEAP-Klassifikation können zusätzlich neben den Hautveränderungen (C) bei Bedarf ätiologische (E), anatomische (A) und pathophysiologische (P) Kriterien berücksichtigt werden. Die ältere Klassifikation nach Widmer teilt den Schweregrad der Chronischen Venösen Insuffizienz in drei Klassen ein und bedient sich dabei unterschiedlichen Symptomen unter Auslassung hämodynamischer Parameter.

Neben den klinischen Symptomen geht die chronisch venöse Insuffizienz auch mit zahlreichen spezifischen Beschwerden wie unter anderem Spannungsgefühl, Brennen, Überhitzung, Krämpfe, Müde und Beinschwere einher. Auch die Lebensqualität ist durch diese Erkrankung bereits in den Frühstadien eingeschränkt.

Medizinische Kompressionstherapie

Die Kompressionstherapie ist zusammen mit der Bewegung Grundlage der nichtinvasiven Therapie zur Behandlung der chronisch venösen Insuffizienz. Sie kann alleine bzw. in Kombination mit invasiven Maßnahmen angewendet werden. Es konnte in verschiedenen unabhängigen Studien gezeigt werden, dass eine konsequente Kompressionstherapie zur Ödemreduktion und Verbesserung der Mikrozirkulation führt. Ebenso beschleunigt Sie die Abheilung von venösen Ulzera und reduziert die Rezidivrate nach operativen Eingriffen am Venensystem. Verschiedene Materialien u.a. Polyamid, Elastan, Baumwolle, Elastoide Viskose finden in der Kompressionsbehandlung der Chronischen Venösen Insuffizienz Anwendung. Die im Handel angebotenen Kompressionsbinden werden überwiegend längselastisch hergestellt und in vier Klassen, gliedert:

  • >30% Ultrakurz
  • 40-90% Kurzzug
  • 100-130% Mittelzug
  • 150-200% Langzug

Um den venösen Rückstrom optimal zu verbessern, werden von Kompressionsmaterialien nachstehende Eigenschaften verlangt:

  • hoher Arbeitsdruck (Druck bei Muskelkontraktion) sowie
  • niedriger Ruhedruck (Druck bei ruhendem Bein)

Die besten Voraussetzungen für einen hohen Arbeitsdruck bieten Kompressionsverbände mit kurzzugelastischen Materialien. Ihre Hauptwirkung wird bei Aktivierung der Muskel-Gelenk-Pumpen entfaltet. Bei richtiger Anlage eines Kompressionsverbandes entsteht eine Graduierung des Kompressionsdruckes. Optimale Effektivität von Kompressionsverbänden kann durch einen höheren Druck am distalen als am proximalen Unterschenkel sichergestellt werden. Die Effektivität der Kompressionswirkung kann zusätzlich durch Verwendung von Druckpolstern und Pelotten gesteigert werden.

Der Andruck von Kompressionsverbänden ist unter anderem abhängig von:

  • Bindenvordehnung
  • Bindentyp
  • Bindenbreite
  • Bindenelastizität
  • Bindenzugkraft

Die Wirkung der Kompressionstherapie beruht u.a. auf einer Verminderung des venösen Querschnitts sowohl in Ruhe als auch bei der Muskelkontraktion. Infolgedessen wird der venöse Reflux in Richtung Fuß unterbunden, bei jeder Beinmuskelaktivität wird dank einer wirksamen Kompressionstherapie das Blut in den Beinvenen wieder in Richtung Herz bewegt. Somit erhöht sich der venöse Rückstrom.

Die Kompressionstherapie verbessert nachweislich die für den Erhalt und die Gesundheit der Haut entscheidende Mikrozirkulation der Haut am Unterschenkel und Fuß. Infolge des erhöhten Gewebedrucks, die die Kompressionstherapie von außen ausübt, steigt die Rückresorption von Gewebeflüssigkeit im venösen Schenkel der Kapillaren an. Hierunter wird eine Blutströmungsbeschleunigung in den erweiterten Kapillarschlingen, Minderung der kapillaren Filtration und Steigerung der Reabsorption erreicht. Die klinischen Symptome wie Juckreiz, müde, schwere oder schmerzhafte Beine minimieren sich ebenfalls unter einer Kompressionstherapie

Vor jeder Kompressionstherapie sollten folgende Kontraindikationen ausgeschlossen werden:

  • arterielle Durchblutungsstörungen im Anwendungsbereich
  • Fortgeschrittene periphere Verschlusskrankheiten
  • dekompensierte Herzinsuffizienz
  • Septische Phlebitis und Phlegmasia coerulea dolens stellen eine absolute Kontraindikation dar
  • Sensibilitätsstörungen bei peripheren Neuropathien (Diabetes Mellitus)
  • Unverträglichkeit von Bindenmaterial

Bedeutung des Anpressdruckes für die medizinische Wirksamkeit

Ermitteln des Anpressdrucks

Der nach Anlage eines Verbandes erzeugte Druck wird bestimmt durch die Spannung im Verband, die Anzahl der angelegten Verbandslagen und die Krümmung der betreffenden Gliedmaßen.

Diese Interaktionen werden durch das Laplace Gesetz beschrieben, welches besagt, dass der angewandte Druck direkt proportional zur Spannung in einem Verband und umgekehrt proportional zu Radius der Rundung der Andruckfläche ist.

P ∞ T / R
(P = Druck; T = Spannung; R = Radius; ∞ proportional)

Je höher die Vorspannung des Bindenmaterials, desto höher der Anpressdruck, umso größer der Radius des Beines, desto geringer der Anpressdruck. Die Kontinuität der Spannung des Bindenmaterials über einen längeren Zeitraum ist abhängig von den Verbandsmaterialeigenschaften und der Strickungsfertigung. Die Längen- und Breitenausdehnung unter Zug, wird Dehnbarkeit genannt. Unter einer für den Verband maximal möglichen Vordehnung wird eine bestimmte Dehnungssperre erreicht, welche eine Einteilung in Kurz- oder Langzugmaterialien ermöglicht.

Unter Kurzzug versteht man Verbände, die wenig elastisch, minimal dehnbar und passiv sind Ihre Dehnung sollte nicht über 70% liegen.

Langzug ist durch Materialien mit größerer Dehnbarkeit, Elastizität und Aktivität gekennzeichnet, die eine Dehnung über 140 % zulassen. Kleine Änderungen des Dehnungszustandes, wie z.B. beim Gehen, führen bei elastischen Verbänden aufgrund der Elastizität zu geringen Schwankungen des Anpressdruckes, wohingegen bei unelastischen Materialien Änderungen bei z.B. Volumenzunahme der Wade durch Bewegung, hohe Anpressdruckanstiege erreicht werden können. Somit entsteht bei unelastischen Materialien eine dynamische Druckanpassung unter Bewegung, im Sinne eines niedrigen Andrucks in Ruhe und hohen in Bewegung.

Somit erreicht der Kurzzugverband hohe Anpressdrucke unter Muskelaktivität und niedrige Ruhedrucke bei Entspannung der Muskulatur. Somit ergibt sich hieraus einen unterstützenden Widerstand, gegen den die Wadenmuskelpumpe arbeiten muss.

Messung des Anpressdruckes

Um die Wirkungsweise der Kompressionstherapie zu quantifizieren ist eine Bestimmung des lokalen Anpressdrucks unter physiologischen Gegebenheiten unter dem Kompressionsmaterial messtechnisch sinnvoll. Um dieses zu realisieren, wurden verschiedene Druckmessgeräte entwickelt.  Die Sensoren sollten sich flexibel an variable Oberflächen anpassen, eine ausreichende Auflagefläche und Materialbeschaffenheit besitzen, die ein Eindrücken des Sensors unter dem Verband in die Haut weitestgehend verhindert. Zudem darf das Volumen dieser Sensoren die Vordehnung des Kompressionsmaterials nicht beeinträchtigen.

Druckmesskissen des Druckmesssystems der Firma ELCAT VQ 2000

Dieses Messystem erfüllt die genannten Anforderungen an den Sensor. Der Sensor wird meist im Bereich des medialen Unterschenkels am unteren Rand des Wadenmuskels positioniert (Position B1).

Der Anpressdruck wird kontinuierlich unter Ruhebedingungen am liegenden und am stehenden Patienten sowie unter „Arbeitsbedingungen“ beim Gehen auf dem Laufband, während Zehenstandsübungen oder in halbsitzender Position während aktiven Bewegungen des Fußes im Sprunggelenk ermittelt.

Idealerweise sollte ein Kompressionsverband einen möglichst niedrigen Anpressdruck in Ruhe und einen hohen Anpressdruck beim Gehen erzeugen, damit während des Gehens der venöse Reflux sicher ausgeschlossen ist und während der Ruhe z.B. beim Schlafen in der Nacht die Hautdurchblutung insbesondere über den Knöcheln, der Ferse, im Bereich der Fußränder unbeeinträchtigt ist.

In einer prospektiven kontrollierten Studie von Andrea Ladwig, Greifswald, wurden sieben unterschiedliche Kompressionsverbände (Mehrlagen und Mehrkomponentenkompressionsverbände) im Hinblick auf den Anpressdruck und auf die venöse Hämodynamik verglichen.

Der kurzzugige, klassische Zinkleimverband schaltete den venösen Reflux, den Strom des venösen Blutes in Richtung Fuß, bei vergleichsweise niedrigem Anpressdruck in Ruhe zuverlässig aus, gefolgt von modernen Mehrkomponentenkompressionsverbänden. Die besonders kurzzugigen Mehrkomponentenverbände mit adhäsiven oder kohäsiven Eigenschaften erwiesen sich als besonders gut geeignet, Blut aus dem Bein zum Herzen zu transportieren („venöse Drainage“). Zu letzteren modernen Mehrkomponenten-Verbänden mit adhäsiven Eigenschaften gehört UrgoK2 von Urgo.

Fazit

Diejenige Kompressionsverbandtechnik, die sicher beherrscht wird, sollte angewandt werden. Gute klinische Resultate werden mit den schulmedizinisch anerkannten Verbandtypen erzielt, sofern eine ausreichende Expertise besteht: 

Mehrlagenverbände, Mehrkomponentenverbände, Kurzzugverband, Langzugverband, Zinkleimverband.

Im Hinblick auf Tragekomfort und Sicherheit ist der korrekt mit niedrigem Anpressdruck angelegte Zinkleinverband den anderen Verbandarten überlegen, dieser ist somit besonders für Patienten geeignet, die zusätzlich zu Erkrankung der Venen an einer Durchblutungsstörung der Arterien leiden.

Im Vergleich zu Vierlagenverbänden erwies sich der Zweikomponentenverband UrgoK2 mit Adhäsion der äußeren Binde als besonders wirksam (Ödemreduktion), sogar über einen Zeitraum von sieben Tagen, und wesentlich komfortabler, unerwünschte Begleiterscheinungen kamen seltener vor.