Chronische venöse Insuffizienz

Unter dem Begriff chronisch venöse Insuffizienz (CVI) werden alle Manifestationen aufgrund einer körperlichen oder funktionellen Erkrankung des Venensystems der Beine zusammengefasst, die durch eine Klappeninsuffizienz mit oder ohne begleitende Venenobstruktion hervorgerufen werden, sowohl das oberflächliche als auch das tiefe Venennetz betreffen und chronisch verlaufen.

Varikose

Venöses Unterschenkelgeschwür
 

Genese

Die Funktionsstörung des Venensystems kann primärer Genese (in fast 90% der Fälle) oder sekundärer Genese (etwa 10% der Fälle von CVI) sein. Sie führt über kurz oder lang zu einer progredienten chronic venous disease (CVI). Diese tritt in den Industrieländern bei 11 bis 24% der Bevölkerung auf und ist bei Frauen häufiger (Geschlechterverhältnis = 1/3).

  • Wenn die Funktionsstörung nicht die Folge einer anderen Erkrankung ist, spricht man von primärer Genese. Die genaue Entstehung dieser Funktionsstörung ist nicht bekannt, allerdings zeigt die Erfahrung, dass sich anhand bestimmter Faktoren eine Risikopopulation erkennen lässt.
  • Dagegen spricht man von sekundärer Genese, wenn die CVI die Folge einer anderen Erkrankung ist. Dabei handelt es sich hauptsächlich um tiefe Venenthrombosen (TVT). In diesem Fall spricht man vom postthrombotischen (oder postphlebitischen) Syndrom.
  • Seltener kann CVI kongenitalem Ursprungs sein (mangelnde Funktion der Venenklappen oder gar keine Venenklappen vorhanden).

Pathophysiologie

Die chronisch venöse Insuffizienz ist eine multifaktorielle Erkrankung, bei der bisher keine Hauptursache nachgewiesen worden ist. Deshalb lassen sich die primären physischen oder biologischen Veränderungen nicht in der Reihenfolge ihrer Bedeutung auflisten.

Klappeninsuffizienz

Dies kann quantitativ oder qualitativ sein:

  • quantitativ im Fall einer kongenitalen Insuffizienz im Hinblick auf die Anzahl der Venenklappen oder deren massiven Zerstörung infolge einer Venenthrombose
  • qualitativ infolge von Abriss oder unvollständigem Verschluss einer Klappe

Schädigung der Venenwand

Eine Schädigung der Venenwand ist offenbar häufiger als eine Klappenschädigung. Die Venenwand wird dabei in Höhe der Venenklappe dünner. Die Vene wird erweitert und die Klappensegel klaffen auseinander, so dass die Klappen nur noch unvollständig schließen. Diese Schädigung der Venenwand kann mit der Schädigung der innersten Schicht der Venenwand – dem Endothel – einhergehen.

 

Ursachen

Die genauen Ursachen, die zur Entwicklung einer chronischen Venenkrankheit führen, sind nicht eindeutig bekannt. Folgende Risikofaktoren spielen jedoch eine Rolle:

  • Hereditäre Faktoren, Bewegungsmangel, Alter
  • Defizitäre Muskel- und Gelenkpumpe
  • Weibliche Geschlechtshormone, enzymatische Faktoren
  • Sequestrierung von Leukozyten und deren Adhäsion am Endothel
  • Probleme der Mikrozirkulation
  • Ungenügende Vasokonstriktion im Stehen
  • Erhöhte Gerinnungsneigung des Blutes im Falle einer Thrombose

Die Schädigung von Venenklappen und Venenwand unter dem Einfluss eines oder mehrerer der oben genannten Faktoren führt zur Beeinträchtigung des Venennetzes der Beine. Sie verursacht einen venösen Hochdruck, der zu einer chronischen Venenkrankheit mit Gewebedekompensation führen kann, der chronischen venösen Insuffizienz.

Folgen des venösen Hochdrucks

Es ist nicht geklärt, warum sich bei manchen Menschen eine Dekompensation der Mikrozirkulation und der Gewebe entwickelt, während andere einen erheblichen venösen Hochdruck sehr gut tolerieren.

Der erhöhte Druck hat je nach Ausprägung unterschiedliche Folgen:

Sichtbare morphologische Veränderungen

  • Infolge des erhöhten Drucks und der ungenügenden peripheren Vasokonstriktion dehnt sich die Venenwand allmählich aus und es treten Krampfadern, auch als Varizen bezeichnet, auf.

Gewebeveränderungen

  • Der erhöhte Druck kann zu einer Dekompensation der Gewebe und zur Entwicklung einer echten chronischen venösen Insuffizienz führen, die sich auf das Gewebe um die variköse Vene herum auswirkt. Die Permeabilität der betroffenen Vene ist erhöht und das Bein schwillt an. Dies ist das ödematöse Stadium. Anfangs bildet sich dieses Ödem zurück, wenn der Betroffene sich hinlegt oder das Bein hochlegt, aber im Laufe der Zeit ist das Ödem permanent vorhanden. Dies ist der Beginn von Gewebemanifestationen.
  • Diese Manifestationen (Stase, Extravasation, Austritt in das Interstitium und lokale Ischämie) halten sich selbst in Gang und verstärken sich gegenseitig.

Veränderte Austauschprozesse auf Zellebene und deren Folgen

  • Gewebeveränderungen führen zu einer Beeinträchtigung der Austauschprozesse von Gasen und Nährstoffen auf Zellebene.
  • Die Beeinträchtigung dieser Austauschprozesse von Gasen und Stoffwechselprodukten führt zu Gewebeschädigungen, die trophische Störungen auslösen oder verschlimmern, und schließlich in eine manifeste Nekrose und die Bildung einer varikösen Wunde münden. Dies ist das venöse Ulcus cruris, das Endstadium der CVI.

WUSSTEN SIE SCHON? Multifaktorielle Erkrankung

Die chronische Venenkrankheit ist eine multifaktorielle Erkrankung. Das heißt, dass sie keine Hauptursache, sondern viele gleichberechtigte Ursachen hat. Deshalb kann man die primären physischen oder biologischen Veränderungen auch nicht in der Reihenfolge ihrer Bedeutung auflisten.