Bindesysteme

Heute gibt es zahlreiche Arten von Binden oder Verbandsystemen, die sich durch die verwendeten Materialien und die Herstellungsart unterscheiden.

Die Binden werden in verschiedene Kategorien eingeteilt, die durch ihre physikalischen und dynamischen Merkmale und den Anpressdruck, der mit ihnen erreicht werden kann, definiert werden. Um Binden ordnungsgemäß anwenden zu können, muss man die spezielle Terminologie für diese Produkte kennen, um ihre Wirkprinzipien, die Faktoren, die den Druck unter dem Verband bestimmen, sowie ihre jeweiligen Vor- und Nachteile zu verstehen.

Physikalische Merkmale von Binden

Die physikalischen Merkmale beschreiben die Fäden, die Schussfäden, die Herstellungsart (gewebt, trikotiert) und die kohäsiven, adhäsiven oder trockenen Eigenschaften der Binden.

  • Adhäsive Binden: Diese Binden bestehen aus einer durch Zugabe eines Klebstoffs adhäsiven Schicht. Sie sind nicht abnehmbar, nicht waschbar und nicht wiederverwendbar (Einmalgebrauch). Aufgrund ihrer Herstellungsart sind sie nur in eine Richtung elastisch (monoelastisch).
  • Kohäsive Binden/selbsthaftende Binden: Diese Binden enthalten Naturkautschuklatex oder einen synthetischen Bestandteil davon, der ihnen selbsthaftende Eigenschaften verleiht. Sie sind theoretisch waschbar (im Schnitt 5-mal), das Waschen kann aber ihre selbsthaftenden Eigenschaften beeinträchtigen. Kohäsive Binden sind für gewöhnlich monoelastisch (in Längsrichtung).
  • Trockene Binden: Diese Binden bestehen aus „trockenem“, nicht beschichtetem Strickmaterial oder Gewebe und sind waschbar (je nach Norm 25- bis 30-mal). Sie sind abnehmbar, benötigen aber ein Fixierungssystem. Sie können in Längsrichtung (monoelastisch) oder in Längs- und Querrichtung (bielastisch) gebunden werden.

 

Dynamische Merkmale von Binden

Eine Binde wird definiert durch die im Labor bestimmten Werte der dynamischen Eigenschaften:

  • Elastizität: Die Elastizität einer Binde ist die Fähigkeit des gedehnten Textilmaterials, nach Aufhebung der verformenden Kraft in seine ursprüngliche Form zurückzukehren. International wird in der Praxis aber die Dehnbarkeit als Maß verwendet, um „elastische“ oder „nicht oder wenig elastischen“ Binden zu bestimmen.
  • Dehnbarkeit/Verlängerbarkeit: Die Dehnbarkeit ist das Verformungsvermögen eines Materials, wenn es einer konstanten Zugkraft ausgesetzt wird. Sie wird in Prozent angegeben.
  • Verlust der linearen Rückstellkraft gemessen anhand von Hysteresekurven: Um die Verformung oder Abnutzung des Bindematerials zu beurteilen, wird es wiederholten Zyklen mit Dehnung und Entspannung ausgesetzt, bei denen die % Verlängerung in Abhängigkeit von der ausgeübten Kraft gemessen wird.

Dadurch erhält man Hysteresekurven, die den Verlust der linearen Rückstellkraft des Textilmaterials nach wiederholter Dehnung und Entspannung angeben.

Auf diese Weise werden Langzugbinden, d. h. elastische Binden, und Kurzzugbinden, d. h. wenig elastische oder unelastische Binden definiert.

Die Standards sind hier noch weit von einer internationalen Vereinheitlichung entfernt und können sich von Land zu Land unterscheiden. In den letzten Jahren entwickelt sich jedoch eine internationale Klassifikation:

  • Langzugbinden (elastische Binden), haben eine Dehnbarkeit > 100-120% *
  • Kurzzugbinden haben eine Dehnbarkeit <100-120% *

*Die Grenze zwischen den beiden Bindentypen variiert je nach Publikation und Land zwischen
100 % und 120 %.

Anpressdruck

Eine Binde wird auch anhand ihres Anpressdrucks definiert, den sie auf die Gliedmaße ausübt, das heißt anhand des in vivo zwischen Binde und Haut gemessenen Drucks.

Früher wurden nur die technischen Daten von Labormessungen zum Vergleich von Binden herangezogen. Seit einigen Jahren haben sich jedoch die Meinungen internationaler Experten geändert und  die neuen internationalen Empfehlungen orientieren sich an den in vivo gemessenen Werten des Anpressdrucks.

Der Anpressdruck, der bis vor kurzem weitgehend ignoriert wurde, ist heute als die wichtigste biophysikalische Eigenschaft von Kompressionssystemen zur Anwendung bei Patienten anerkannt.

Dieser Druck ist sowohl vom Typ der Binde abhängig als auch davon, ob die Gliedmaße, an der der Wert bestimmt wird:

  • immobil ist, wobei sich ein Ruhedruck (RD) ergibt, der direkt von der passiven Spannung des Kompressionssystems erzeugt wird
  • mobil ist, wobei sich ein Arbeitsdruck (AD) ergibt, der intermittierend bei Belastung durch Muskeltätigkeit erzeugt wird

Die Differenz zwischen beiden Druckwerten entspricht dem Steifheitsindex der Binde.

Je höher dieser Index ist, je steifer ist die Binde und umso mehr entspricht sie der Kategorie der Kurzzugbinden (wenig elastisch). Je niedriger dieser Index ist, umso elastischer ist die Binde, d. h. umso mehr entspricht sie der Kategorie der Langzugbinde.

Da die Werte für den Anpressdruck von der Dehnbarkeit eines Produkts abhängen, haben Kurz- und Langzugbinden in vivo nicht dieselben Profile für den Anpressdruck. Diese Merkmale haben direkten Einfluss auf das erwartete Ergebnis am venös-lymphatischen System.

Kompressionswirkungen der verschiedenen Bindentypen

Diagramm der verschiedenen Typen von Verbänden

Langzugbinden (elastische Binden)

Langzugbinden (LZB) sind definitionsgemäß Binden mit hoher Dehnbarkeit, die im Allgemeinen über 100% liegt (bzw. 120% je nach Literaturquelle und Land). Sie enthalten elastische Fäden und können trocken oder kohäsiv sein.

Die elastische Eigenschaft bringt einen konstanten Druck mit sich, der in Ruhe und bei Belastung fast gleich ist und daher einen niedrigen Steifheitsindex (SSI) hat. Eine solche Wirkung ist besonders empfehlenswert bei immobilen oder wenig mobilen Patienten, die ihre Wadenmuskelpumpe nicht betätigen können.

Die elastischen Systeme müssen in der Nacht abgenommen werden, weil der von ihnen ausgeübte Druck während des Schlafes schwer zu ertragen ist. Die Notwendigkeit der täglichen Applikation kann die Akzeptanz der Therapie u. U. stark beeinträchtigen. Das Anlegen kann ohne vorherige Schulung recht schwer sein, weil sie mit 50% Dehnung angelegt werden müssen, was für Ungeschulte schwer zu beurteilen ist.

Kurzzugbinden (wenig elastische Binden)

Binden werden als wenig elastisch (oder unelastisch) definiert, wenn ihre Dehnbarkeit unter 100% (bzw. 120% je nach Literaturquelle und Land) liegt.

Systeme mit kurzem Zug liefern einen niedrigen Ruhe- und einen hohen Arbeitsdruck (erhöhter SSI), wodurch beim Gehen ein signifikanter Massageeffekt hervorgerufen wird. Dieser Massageeffekt reaktiviert die Wirksamkeit der Muskelpumpe, indem er den venösen Fluss von der Oberfläche in die Tiefe fördert. Systeme mit kurzem Zug sind bei der Behandlung schwerer Stadien der CVI daher sehr wirksam, vor allem bei der Behandlung venöser Ulcera cruris und schwerer Ödeme, weil sie den venösen Rückstrom und die Lymphdrainage erheblich verbessern.

Sie sind wirksam bei ausreichend mobilen Patienten und werden insbesondere bei schweren Ödemen empfohlen. Sie können dank des niedrigen Ruhedrucks für gewöhnlich am Tag und in der Nacht getragen werden.

In der Literatur wird beschrieben, dass es mit solchen Binden bereits in den ersten Stunden nach dem Anlegen zu einer signifikanten Abnahme des Anpressdrucks kommt. Dies führt recht schnell zu einem Verrutschen dieser Binden, so dass sie regelmäßig neu angelegt werden müssen. Dies gilt insbesondere ganz am Anfang einer Kompressionstherapie, wenn venöse Ödeme resorbiert werden.

Mehrlagen-(Multilayer-)Bandagen (MLB)

Bei einem Mehrlagensystem werden verschiedene mehr oder weniger elastische und unelastische Binden übereinandergelegt. Damit kann ein Kompressionssystem erreicht werden, das die Vorteile von Kurzzugbinden und Langzugbinden in sich vereint. Unter Belastung verhält sich dieses System wie eine Kurzzugbinde, indem es einen starken Massageeffekt erzeugt. In Ruhe übt es einen konstanten mittleren Druck aus, der in der Nacht erträglich ist, so dass solche Bandagen bis zu 7 Tage lang getragen werden können, ohne an Druck einzubüßen oder zu verrutschen. 

WUSSTEN SIE SCHON?

…, dass sogenannte Hysteresekurven den Verlust der linearen Rückstellkraft des Textilmaterials nach wiederholter Dehnung und Entspannung angeben? 

Auf diese Weise werden Langzugbinden und Kurzzugbinden in ihren dynamischen Eigenschaften definiert.


…, dass der Steifigkeitsindex die Differenz zwischen Arbeits- und Ruhedruck darstellt?

Heute wird dieser Index hauptsächlich mit einer Methode bestimmt: Bestimmung des statischen Steifheitsindex (Static Stiffness Index (SSI)), der die Differenz der im Stehen und Liegen gemessenen Druckwerte angibt.