Bewusstsein für chronische Wunden stärken

Am 13. Juli 2022 findet zum ersten Mal der Awareness Day zur chronischen Wunde statt. Der Aktionstag, der von der Initiative Chronische Wunden (ICW) initiiert worden ist, dreht sich bei seiner Premiere rund um das Thema „Diabetisches Fußsyndrom“. Ziel ist es, Menschen mit chronischen Wunden und die daraus resultierenden Beeinträchtigungen, mit denen sie sich auseinandersetzen müssen, mehr in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken.
Dazu finden bundesweit Aktionen statt wie z. B. Infoveranstaltungen oder Tage der offenen Tür in Pflegeeinrichtungen.
Aber brauchen wir tatsächlich einen Awareness Day zur chronischen Wunde? Im Interview nehmen Dr. Udo Möller, Director Medical Affairs & Clinical Trial Management, und Sascha Eichert, Marketing Director D-A-CH, zu dieser Frage Stellung.

 

Warum ist Awareness für chronische Wunden so wichtig?

Sascha Eichert: Ich begrüße es sehr, dass die ICW diesen Awareness-Tag ins Leben gerufen hat. In der öffentlichen Diskussion geht es oft nur um die Wunden an sich, die Behandlungsmöglichkeiten und diejenigen, die die Wunden behandeln – die WundexpertInnen, Pflegenden, ÄrztInnen. Das ist natürlich sehr wichtig. Bei allem, was wir tun, sollten jedoch immer die Menschen, die mit den chronischen Wunden leben, im Mittelpunkt stehen. Hinter jeder Wunde steckt ein Mensch mit seinen Sorgen, Ängsten und Nöten. Der Awareness-Tag gibt uns die Möglichkeit, auf diesen Aspekt besonders aufmerksam zu machen, um Betroffenen die Hilfe zuteilwerden zu lassen, die sie für ihr Leben wirklich benötigen.

Dr. Udo Möller: Es ist zwar bedauerlich, dass wir so einen Tag heutzutage überhaupt brauchen, aber ich finde es enorm wichtig, dass es ihn gibt. Wie dringend notwendig mehr Awareness für chronische Wunden, wie z. B. dem diabetischen Fußsyndrom, ist, zeigt beispielsweise eine Befragung von Hausarztpraxen, die wir vor einiger Zeit durchgeführt haben. Dabei kam heraus, dass viel zu viel Zeit verstreicht, bis ein Patient mit einer behandlungsbedürftigen chronischen Wunde erkannt und auch entsprechend behandelt wird. Weder Betroffenen noch vielen Pflegekräften, aber auch AllgemeinmedizinerInnen ist oft wirklich bewusst, dass ein diabetischer Fuß innerhalb von Stunden zu einem medizinischen Notfall werden kann, der zu einer Amputation führen kann. Auch die Amputations- und Sterberaten infolge einer Amputation zeigen, dass hier noch viel mehr für die Awareness getan werden muss, denn viele dieser Amputationen könnten vermieden werden. Dafür existieren bereits sehr gute Hilfsmittel, wie z. B. der Fußpass, der sowohl den Betroffenen als auch den in die Betreuung und Behandlung involvierten Personen mithilfe eines Ampelsystems signalisiert: Achtung, hier besteht ein potenzielles Risiko.

 

Was kann denn so ein Awareness Day für die Betroffenen bewirken?

Sascha Eichert: Ich glaube, dass ein solcher Aktionstag eine gute Gelegenheit ist, das zu stärken, was wir Patient Empowerment nennen. Das bedeutet, dass die Betroffenen ermutigt werden, sich aktiv an allen Entscheidungen rund um ihre Erkrankung zu beteiligen. Sie sollten verstehen, welche Rolle sie selbst in der Behandlung einnehmen können und wie sie selbst zu einer Verbesserung ihrer Lebensqualität beitragen können. Vor allem sollen sie aber auch erkennen, dass sie mit ihren Problemen nicht allein sind und erfahren, wie sie, aber auch ihr Umfeld, Unterstützung erhalten können.

Dr. Udo Möller: Von einem Awareness-Tag profitieren alle – nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch ihr Umfeld und die BehandlerInnen und Pflegenden. Wie wichtig die Sensibilisierung für dieses Thema ist, haben wir auch während der Corona-Pandemie festgestellt. Aus Angst, sich mit dem Corona-Virus zu infizieren, scheuten viele PatientInnen den Arztbesuch und warteten oft zu lange. Ein gravierendes Problem, denn ein diabetisches Fußsyndrom, das nicht regelmäßig kontrolliert und behandelt wird, kann schnell lebensgefährlich werden. Dabei wissen wir: Je früher Verschlechterungen oder Veränderungen erkannt werden, desto besser sind chronische Wunden behandelbar und im besten Fall heilbar.

Sascha Eichert: Wir dürfen nicht vergessen, dass in Deutschland 6,5 Mio. Menschen mit Diabetes leben, für die das Thema „Diabetisches Fußsyndrom“ früher oder später wichtig werden kann. Diese Betroffenen müssen über das Thema Bescheid wissen, denn mit einer guten Prävention kann schon viel erreicht werden, damit es möglichst gar nicht erst zu Komplikationen kommt. Dabei geht es jedoch nicht darum, Panik zu verbreiten, sondern ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es gewisse Risiken gibt, die jedoch mit präventiven Maßnahmen minimiert werden können. Die Aufklärung darüber sollte ein wichtiges Thema in der Patientenedukation darstellen, damit die Betroffenen ihre eigene Kompetenz erhöhen können.

 

Wie engagiert sich Urgo auf dem Gebiet der chronischen Wunden?

Sascha Eichert: Urgo investiert zum einen viel in Forschung und Entwicklung, um die Wundversorgung mit innovativen Produkten weiter voranzubringen. Mit dem neuen Kompressionssystem UrgoK1 sowie mit der Wundauflage UrgoStart Plus haben wir moderne Produkte entwickelt, die die Lebensqualität von PatientInnen mit chronischen Wunden erheblich verbessern können. Um medizinische Fach- und Pflegekräfte zu unterstützen, haben wir zudem die App Healico an den Start gebracht, eine digitale Anwendung für das Smartphone oder das Tablet, mit der die Wunddokumentation direkt während der Wundversorgung schnell und einfach durchgeführt werden kann. Das spart Zeit, die wiederum den PatientInnen zugutekommt. Zum anderen setzen wir auf umfangreiche Aufklärung und eine enge Zusammenarbeit mit unseren PartnerInnen im Gesundheitswesen, die darauf abzielt, schwere Verläufe zu verhindern und die Wundheilung zu verbessern.

Dr. Udo Möller: Wir engagieren uns auch sehr stark auf dem Gebiet der Fortbildungen und informieren ÄrztInnen, Pflegefachkräfte und MFAs in unseren Fortbildungsveranstaltungen online und live rund um die moderne Wundversorgung. Für PatientInnen haben wir gemeinsam mit WundDACH eine Patientenbroschüre zum diabetischen Fußsyndrom entwickelt mit wichtigen Informationen, die für den Alltag der Betroffenen relevant sind. Und ich möchte noch einmal auf die bereits erwähnten Fußpässe hinweisen, die wir mit zusammen mit Meinungsbildnern entwickelt haben und die ein sehr wertvolles Tool zur Vermeidung von Amputationen sind. Darüber hinaus wurde mit den Experten zusammen ein Behandlungspfad erstellt, der sich speziell an Pflegekräfte richtet, da wir erkannt haben, dass bei vielen PatientInnen noch früher eingegriffen werden muss. Und da es oft die Pflegekräfte sind, die die PatientInnen regelmäßig sehen, setzen wir bereits an diesem Punkt mit der Früherkennung ein. Unser Ziel ist, dass Instrumente wie der Behandlungspfad und die Fußpässe breit eingesetzt werden, damit gefährdete PatientInnen möglichst schnell und optimal versorgt werden können. Es ist auch wichtig, dass Betroffenen alle wichtigen Informationen, z. B. in Form einer Patientenbroschüre, an die Hand gegeben werden.

 

Wie könnten noch bestehende Versorgungslücken geschlossen werden?

Sascha Eichert: Mit unserer Kommunikation, z. B. auf unserer Website oder auf Social Media, setzen uns dafür ein, Wissenslücken zu schließen, was auch die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Versorgungslücken schneller geschlossen werden können. Aber es muss noch viel passieren, denn das Wissen ist zwar da, wird aber noch nicht ausreichend eingesetzt. Wir sehen uns in der Pflicht, über unsere Produktinhalte hinaus, für eine bessere Aufklärung zu sorgen. Es ist nicht damit getan, die Wunde zu versorgen. Man muss immer auch den ganzen Menschen und sein Umfeld sehen.